Die ideale Gruppengröße

Noch bis vor einigen Jahren hielt ich kleine Rollenspielgruppen irgendwie für kümmerlich – zu wenig Vielfalt, zu wenig Diskussion, zu wenig Stärke. Diese Meinung hat sich entschieden geändert!

Die Grundbedingungen

Warum ist die Spielerzahl überhaupt ein Thema? – Sollte Rollenspiel nicht immer irgendwie funktionieren, solange wenigstens der SL und ein Spieler an den gemeinsamen Spieltisch finden? Und wo ist das Problem, wenn gleich zehn oder mehr Spieler teilnehmen? Muss der SL in solchen Fällen nicht einfach nur die Herausforderungen in seinem Spiel anpassen?

In Einzel- und Ausnahmefällen mag all das stimmen. Bei entsprechender Spielerpersönlichkeit können sowohl Spielsitzungen mit einem Solo-Helden als auch einer ganzen Abenteurer-Big-Band gelingen. Aber der überwiegende Normalfall ist das nicht, denn sowohl die Spieler als auch der SL haben gewöhnlich gewisse Anforderungen und Limitationen…

  • Akustik und Aufmerksamkeit: Je mehr Teilnehmer, desto mehr wird in der Regel auch durcheinandergeredet und desto höher ist oft auch die Lautstärke. Eine gewisse Disziplin auf Spielerseite kann hier deutlich helfen, aber auch da gibt es Grenzen der Zumutbarkeit. Gerade der SL muss die akustische Spreu vom Weizen trennen und heraushören, welche spielrelevanten Dinge von den Spielern geäußert werden. Er muss sich fragen: War dies gerade eine Überlegung oder bereits eine konkrete Handlung? Wurde das gerade out-of-game gesprochen oder in-game zum NSC gesagt? Sind diese Aspekte manchmal schon bei geringerer Spielerzahl herausfordernd, können sie bei einer großen Gruppe wirklich anstrengend und nervenaufreibend werden.
  • Erinnerung und Koordination: Hat man einmal gehört und verstanden, was die Spieler vorhaben oder in-game ausgesprochen haben, muss all dies natürlich im Spiel prozessiert werden und angemessene Ergebnisse und Auswirkungen haben. Hier ist es für den SL mit vielen Spielern vor allem herausfordernd, die unterschiedlichen SC-Aktionen miteinander zu koordinieren und auch zu überprüfen, inwieweit sie sich gegenseitig beeinflussen.
  • Spotlights und Wartezeit: In Rollenspielen läuft die Interaktion naturbedingt nacheinander und nicht zeitgleich ab. Nehmen alle Spieler am selben In-game-Gespräch mit einem NSC teil, kann man hier vielleicht noch begrenzt von einer gewissen „Gleichzeitigkeit“ sprechen; aber gerade, wenn die SC unterschiedliche Handlungen unternehmen oder sich an unterschiedlichen Orten in der Spielumgebung befinden, müssen sie warten, bis sie an der Reihe sind. Die Auswertung ihrer Vorhaben findet schließlich durch den SL statt, eine einzelne Person, die auch bei vielleicht überdurchschnittlicher Multi-Tasking-Begabung schlicht nicht mehrere Schilderungen gleichzeitig vornehmen kann. Je größer die Spielerschar, desto länger normalerweise auch die Wartzeit für jeden Spieler und desto kürzer meistens auch die „Spotlights“, die jeder Spieler erhält. Als SL, der ohnehin fast daueraktiv ist, bemerkt man diesen Aspekt meistens eher weniger, denn man selbst hat ja mehr als genug zu tun und ist ständig gefordert, während die Spieler oft passive Phasen ertragen müssen, in denen sie auf geduldiges Zuhören beschränkt sind.
  • Lebendigkeit und Feedback: Gewissermaßen das Gegenteil des vorigen Punktes und eigentlich nur ein Problem von sehr kleinen Gruppen ist die zu geringe Aktivität auf Spielerseite. Sind nur wenige Spieler dabei, von denen auch noch ein Teil es eher vorzieht, im Hintergrund zu verbleiben und ihre Mitspieler sprechen zu lassen, kann sich das Heldendasein trotz eines noch so spannenden Abenteuers durchaus langweilig, unbedeutsam und sogar trostlos anfühlen. Denn Rollenspiel lebt nun mal stark von Gruppendynamik, von der kreativen Kollaboration und der Diskussion unter den Spielern. Werden beinahe alle Entscheidungen und Gespräche von nur einem oder zwei Spielern getroffen, gibt es wenig Variation und wenig Überraschendes.

Minimum und Maximum

Basierend auf diesen Bedingungen, die für die Aktivität in Rollenspielgruppen gelten, lässt sich grob sagen, wann eine Gruppe zu klein und wann sie zu groß ist.

Mit weniger als 3 Spielern entsteht keine wirkliche Gruppendynamik, es gibt wenig Austausch und nur selten separate Handlungen. Das führt insgesamt zu wenig Abwechslung und kann einzelnen Spielern in manchen Fällen auch schon mal zuviel „Rampenlicht“ geben. Auch aktivere Naturen finden es schließlich manchmal angenehm, für einige Zeit in den Hintergrund zu treten und die anderen machen zu lassen.

Der Spezialfall ist hier das Spiel mit nur einem Spieler, in dem das Verhältnis zwischen Spieler und SL bisweilen unangenehm „intim“ wirken kann. Zwar schließt sich das Handlungsfenster des einzigen Spielers nie, und dieser ist immer direkt gefordert, aber durch die Tatsache, dass von dem einzigen Protagonisten alles abhängt, steht der Spieler oft unter einem nicht geringen Druck. Der SL sieht sich andererseits häufiger genötigt, „pädagogisch“ zu werden, negative Auswirkungen abzumildern oder den Spieler doch noch Erfolg haben zu lassen. Schließlich steht und fällt alles mit der einzigen Hauptperson.

Mehr als 6 Spieler führen erfahrungsgemäß zu fast exponentiell längeren Wartezeiten und zu einem ebensolchen Anstieg der akustischen Belastung. Ja, es gibt viel Abwechslung, viel Austausch und immer Spieler, die etwas tun wollen oder Ideen haben. Doch gerade wenn die Gruppe mal nicht als geschlossene Einheit agiert, dauert es oft eine halbe Stunde oder länger, bis der SL sich einem einzelnen Spieler wieder zuwenden kann. Auf Spielerseite kommen dadurch oft Langeweile und Unaufmerksamkeit auf, während der SL nicht selten unter Dauerstress steht.

Die offensichtliche Quintessenz ist also, dass an einer Rollenspielgruppe normalerweise wenigstens 3 und höchstens 6 Spieler teilnehmen sollten. Dabei würde ich eine Spielerzahl von 3 oder 4 als „sichere Größe“ bezeichnen. In diesen Gruppen gibt es einerseits genug Dynamik und andererseits sinnvoll kurze Wartezeiten. Bei 5 oder 6 Spielern hängt das Spielklima von einem wesentlichen Faktor ab…

Eine Frage der Persönlichkeit

Wie gut das Spiel mit unterschiedlich hohen Spielerzahlen läuft, hängt stark von der Persönlichkeit der jeweiligen Spieler ab. Sind Spieler dabei, die sich oft in den Vordergrund katapultieren und sowohl out-of-game als auch in-game gerne die Zügel in die Hand nehmen, kann das auch schon bei 5 Spielern für die weniger forschen Teilnehmer belastend werden.

Die förderlichste Eigenschaft, die Spieler haben können, ist es hingegen, aktiv auf Kooperation und Kollaboration mit den anderen Spielern hinzuarbeiten. Spieler, die vor allem gemeinschaftliche Tätigkeiten planen, und die andere SC in-game „anspielen“, erhöhen den Spaß und verbessern das Spielklima für alle Teilnehmer. Wenn eine Gruppe vor allem aus solchen Spielern besteht, lässt sie sich auch mit 6 oder sogar mehr Spielern gut handhaben.

Wie fast immer gilt hier also: „Kenne Deine Spieler bzw. Mitspieler!“ Abhängig von der Persönlichkeit der Spieler und ihrer Art zu spielen sollte entschieden werden, ob man eine Gruppe lieber klein lässt oder sie für weitere Interessierte öffnet. Bei neuen Mitspielern kann man das natürlich noch nicht einschätzen. Deshalb schlage ich vor, hier zunächst die weiter oben beschriebene „sichere Größe“ zu wählen und die Gruppe auf höchstens 4 Spieler zu beschränken.

Meine Wahl: lieber 3 als 4 Spieler

Wie eingangs gesagt, hätte ich mir vor ein paar Jahren gar nicht vorstellen können, die „goldene Zahl“ von 4 Spielern jemals in Frage zu stellen. Nachdem ich aber über längere Zeit sehr viel Freude mit einer 3-Spieler-Gruppe hatte und auf der anderen Seite auch erlebt habe, wie anstregend größere Gruppen allein durch die Akustik werden können, freue ich mich als SL inzwischen, wenn ich genau 3 Spieler für ein Projekt finde. Man hat zwar auf SC-Seite ein bisschen weniger Varietät, jedoch immer noch genug Dynamik und vor allem superkurze Wartezeiten für die Spieler. Selbst wenn alle SC mit unterschiedlichen Vorhaben und an unterschiedlichen Orten unterwegs sind, kommt jeder Teilnehmer immer wieder erstaunlich schnell an die Reihe. Selbst auf längere Einzelgespräche mit NSC kann man sich in einer Dreierrunde mal getrost einlassen, denn die effektive Wartezeit fällt immer noch deutlich kürzer aus als in größeren Runden.

Tatsächlich war ich nach all den Jahren, in denen meine Gruppen aus wenigstens 4 Spielern – meistens aber aus 5 oder mehr – bestanden, noch mal so richtig überrascht, wieviel intensiver man das Rollenspiel mit 3 Spielern gestalten kann, während man gleichzeitig viel „schafft“. Für mich stellte es sich als die ideale Kombination aus dem detallierten Ausspielen vieler Szenen und einem trotzdem hohen Handlungsanteil heraus. Auch die Aufmerksamkeit der Spieler war immer auf einem hohen Niveau, ohne dass einzelne Spieler dauergefordert waren.

Aus der „goldenen 4“ wurde für mich also die „goldene 3“.

Schlussfolgerung

Ist das jetzt also ein Plädoyer für eine möglichst kleine Spielerzahl? – Jein.

Erstens gibt es definitiv so etwas wie zu wenige Spieler – Gruppen mit nur zwei Spielern haben meistens einfach zu wenig Energie.

Zweitens geht es vor allem darum, die Persönlichkeit der Spieler zu kennen und die Gruppengröße entsprechend zu wählen. Die Grenzen sollten normalerweise bei 3 bis 6 Spielern liegen, während eine Gruppe mit 3 oder 4 Spielern fast immer gut funktioniert und man bei 5 oder 6 Spielern schon vorsichtiger sein und genau darauf achten sollte, dass die Spielerpersönlichkeiten harmonieren.

Einen konkreten Ratschlag kann ich aber geben: Wer bisher nur in größeren Gruppen gespielt hat (als Spieler oder als SL), sollte wirklich mal das Spiel mit nur 3 Spielern (und dem obligatorischen SL) ausprobieren. Für mich war das eine unerwartet positive Erfahrung.


Welche Erfahrungen habt Ihr mit Gruppengrößen gemacht? Was haltet Ihr von meinen Überlegungen? Auf Kommentare bin ich gespannt.

4 Gedanken zu „Die ideale Gruppengröße“

  1. Ich mag als SL Gruppengrößen von maximal drei Leuten. Wir spielen seit Monaten eine Urban-Fantasy-Runde sogar nur mit zwei Spieler*innen und es klappt sehr gut. Das macht intensives Spiel möglich.

    Als Spieler möchte ich auch eher mit drei Leuten spielen, weil ich Probleme mit Wartezeit und Spotlight nicht haben mag.

  2. Hallo!

    Das Verhältnis zwischen Spielintensität und möglichst kurzen Wartezeiten ist bei drei Spielern wirklich ideal. Bei zwei Spielern ist es logischerweise eigentlich noch besser, aber da bin ich immer etwas skeptisch, ob die Spieler jeweils nicht schon zu lange im „Rampenlicht“ stehen. Ob das gut klappt, liegt sicherlich auch an den Spielerpersönlichkeiten. Und im Zweifelsfall würde ich eine Partie mit 2 Spielern einer mit 6 immer vorziehen. 😉

    Übrigens: Lob für die Website und das Zine — sehr cool! 🙂

  3. Ich habe mehr oder weniger zufällig einen großen Teil meiner Spielerfahrungen in 4 Mensch Gruppen, also meist drei Spieler und eine Spielleitung, gemacht. Rückblickend muss ich sagen, dass ich deine Position vollkommen nachempfinden kann. Ich frage mich inzwischen was eigentlich der Vorteil einer größeren Gruppe sein sollte. Ich konnte diesen in der Praxis nicht mehr identifizieren.

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